Scherben und Glück

 

 

Bringen Scherben wirklich Glück?

Diese Frage habe ich mir, seit ich denken kann, jedes Mal dann gestellt, wenn durch die Magie meiner Hände etwas zerbrochen ist und in tausend und abertausend Teile zersprungen war. Zumeist war die erste Reaktion meines Umfelds auf den produzierten Scherbenhaufen nicht gerade von Glück erfüllt. Im Gegenteil. Ich erntete in aller Regel tadelnde Worte oder auch Blicke. Außerdem stand ich urplötzlich im Mittelpunkt und um mich herum wurde es fast schon unerträglich still. Sämtliche Anwesenden hielten für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an und hatten ihre Augen schreckensweit geöffnet. Manche stießen auch einen kleinen Angstschrei aus. Andere waren spontan verstummt. Es schien, als würde die Zeit für einige Nanosekunden still stehen. Als gäbe es keinen nächsten Moment.

Glück sah und fühlte sich für mich immer anders an. Glück sollte mir oder anderen Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern, welches sich von einem bis zum anderen Ohr ausbreitet und der Ort, an dem sich das Herz befindet, sollte weit und offen sein. Immer dann, wenn ich etwas zerbrach oder mir aus der Hand glitt, blieb nach einer Schrecksekunde zumeist ein Gefühl zurück, welches sich unbehaglich anfühlte und zu diesem gesellte sich oftmals auch noch ein weiteres Gefühl namens Ärger. In erster Linie ärgerte ich mich selbst darüber, dass mir ein Ungeschick passiert war, bei welchem etwas zu Bruch ging oder ich bekam deutlich den Ärger meiner Mutter zu spüren. Ich konnte diesen Ärger förmlich riechen. Wenn jemand ärgerlich ist, dann knistert die Luft und es riecht irgendwie brenzlig. Die Augen werden klein, fast schon wie Sehschlitze, sprühen förmlich Feuer oder senden vernichtende Blicke aus, die an lodernde Blitze erinnern. Natürlich können Augen nicht Feuer und Blitze entsenden, das weiß ja jeder, doch im geschickten Zusammenspiel mit der dazugehörigen Gesichtsmimik kann es schon dazu kommen, dass sich hieraus das Gesamtergebnis von Funken sprühenden Augen abbildet. Doch auch das ist lediglich nur ein weiterer Aspekt des unbeabsichtigt fabrizierten Scherbenhaufens. Was bleibt ist einfach. Es ist so trivial, dass wir noch nicht einmal darüber nachdenken und es uns ganz und gar nicht bewusst ist. Etwas ist zerbrochen und hat sich in viele kleine oder auch wenige große Bestandteile verwandelt. Etwas ist zu etwas anderem geworden. Wir erkennen beim genauen Hinsehen, aus welchen Einzelteilen etwas zu einem großen Ganzen zusammengefügt wurde und welche Form es dadurch erhalten hatte. Eine Tasse ist bei genauerer und näherer Betrachtung eine Tasse. Doch ist sie das wirklich? Ja und Nein. Für den einen ist und bleibt eine Tasse ein Gebrauchsgegenstand, eben eine Tasse, aus der Tee, Kaffee oder Kakao getrunken wird. Für den anderen handelt es sich bei dieser Tasse um die ultimative Lieblingstasse, eben die Genuss-Tasse. Aus dieser einen Tasse schmeckt der Kaffee besonders gut oder in ihr wird der Tee ganz hervorragend warm gehalten. Tasse ist also nicht gleich Tasse? Zerbricht für den einen lediglich eine Tasse aus Porzellan, bricht für den anderen fast schon die ganze Welt zusammen. Wir geben den Dingen ihre Bedeutung und behaften sie mit Emotionen. Vielleicht haben wir auch ein ganz besonderes Ereignis erlebt, währenddessen wir diese eine Tasse zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt in unserem Leben in der Hand hielten oder sie stand genau zu diesem Zeitpunkt vor unserer Nase auf dem Tisch, quasi in unserem unbewussten Blickfeld. Sollte das so gewesen sein, dann zerbricht nicht nur die Tasse. Wir haben Angst davor, dass die, mit der Tasse verknüpften Erinnerungen und schönen Momenten, nun auch bis ans Ende aller Tage vernichtet wurden. Demnach bringen Scherben doch kein Glück, oder etwa doch?

Was kann alles zerbrechen oder brechen? Zuerst einmal wären die unzähligen Gegenstände zu nennen, die zerbrechen können oder die man entzweibrechen kann. Es können sich aber auch einzelne Teile ablösen, beziehungsweise abbrechen. Egal wie wir auch dieses drehen und wenden, am Ende erkennen wir, dass etwas anders ist. Es fehlt entweder ein Teilstück oder die Gesamtheit wurde aufgelöst. Wie sieht es bei uns Menschen aus? Zwischenmenschliche Beziehungen können sich auflösen oder Freundschaften zerbrechen. Kontakte können abbrechen. Liebesbeziehungen oder Partnerschaften brechen auseinander. Durch den Tod eines geliebten Menschen kann einem förmlich der Boden, auf dem man noch bis vor kurzem sicher gestanden hatte, wegbrechen, es zieht einem förmlich den Boden unter den Füßen fort. Durch den Verlust einer Arbeitsstelle bricht für den einen oder anderen buchstäblich die Welt in sich zusammen. Man kann sich bei einem Sturz die Knochen brechen. Mal ist es ein glatter, mal ein komplizierter Bruch, den man nun auch noch operativ mit Schrauben und Plattenkonstruktionen wieder in den Ursprungszustand zurückversetzen möchte. Lediglich die Narbe erinnert nach einer geraumer Weile noch an das Ereignis. Ich habe letztens eine Person zu einer anderen sagen hören: >Zungen können Knochen brechen<. Demnach muss nicht immer ein Unfall der Grund für einen Knochenbruch sein. Zungen sind scheinbar ebenfalls dazu in der Lage. Herzen brechen und werden gebrochen. Menschen zerbrechen an dem einen oder anderen Schicksalsschlag. Man kann sich über irgendwelche Dinge stunden-, tage- und wochenlang den Kopf zerbrechen. Vielerorts wird über einen anderen Menschen der Stab gebrochen. Ich kann aber auch für jemanden die Lanze brechen. Manchmal bricht aber auch ein regelrechtes Donnerwetter über einen herein. Die Flut der Ereignisse bricht über einem zusammen. Manchen Menschen wird das Kreuz gebrochen. Jemand ist zusammengebrochen. Ich breche mit dir. Ich kann zu neuen Ufern aufbrechen. Es ist Zeit, jetzt aufzubrechen. Zum jetzigen Zeitpunkt des Schreibens fallen mir keine weiteren Beispiele mehr ein. Daher lasse ich es dabei bewenden. Bei sämtlichen aufgeführten Beispielen handelt es sich um das Brechen, Zerbrechen und gebrochen werden. Es kommt immer wieder dazu, dass etwas zu etwas anderem wird. Hierbei ist es egal, ob es sich um Situationen oder Menschenleben handelt. Das scheinbar Ganze ist in seiner Gänze nicht mehr vorhanden. Es hat sich verändert.

Ist eine Tasse zerbrochen, um bei diesem Beispiel zu bleiben, dann habe ich die Wahl: Klebe ich sie wieder zusammen oder entsorge ich sie? Hänge ich sehr an diesem Gegenstand, werde ich bestimmt versuchen, ihn durch eine große Menge Sekundenkleber wieder zu flicken. Was bleibt, sind die Klebespuren, die Risse, die mich jedes Mal beim Gebrauch wieder an das Ereignis erinnern. Obwohl dieser Gegenstand geklebt ist, wird er niemals wieder derselbe sein. Geklebt ist eben geklebt. Wie sieht es im zwischenmenschlichen Bereich aus? Auch hier steht man vor der Wahl: kleben/kitten oder sich voneinander trennen. Eine Liebesbeziehung, die einmal zu Bruch ging, lässt sich zwar kitten und wieder herstellen, doch sie wird zukünftig anders sein. Sie hat sich verändert. Die Menschen in dieser Beziehung haben sich verändert. Entweder sie haben durch den Bruch etwas dazugelernt und arbeiten mehr an sich und weniger am anderen oder sie begehen nach geraumer Zeit erneut die gleichen Fehler, was dann möglicherweise zum finalen Bruch führen könnte. Dann gibt es kein Paar, sondern zwei verletzte Einzelindividuen, die im schlimmsten Falle sogar nachträglich mit ihrem einstigen Lebensgefährten/ihrer einstigen Lebensgefährtin brechen. Die Beziehung ist sozusagen entzweit. Man will sich nicht mehr kennen und die schönen Tage oder Stunden, die man gemeinsam verlebt hat, möchte man am liebsten aus der Erinnerung löschen und zwar für den Rest seines Lebens.

Wenn jemand mit einem anderen Menschen bricht und sich für einen anderen Weg entscheidet, dann ist das die Realität. Es gibt kein Gesetz auf der Welt, in welchem steht, dass Beziehungen, Arbeitsplätze und letztlich auch das Leben ewig hält. Alles endet einmal mit dem finalen Bruch, in welchem sich etwas verändert oder in neue Teile und Dimensionen aufgespaltet wird. Was in diesem Moment einem Schreckensgespenst gleichen mag, kann sich nach einigen Wochen, Monaten oder sogar auch erst nach Jahren als heilsbringend und/oder glückliche Fügung erweisen und einem dann das glückselige Lächeln, welches sich von einem zum anderen Ohr breit macht, ins Gesicht zaubern. Außerdem könnten sich die jeweiligen Splitter oder Bruchstücke zu etwas Neuem zusammenfügen lassen, welches sich plötzlich und ungeahnt als wahrhaftes Glück herausstellt. Demnach bringen Scherben vielleicht doch Glück?

Wir sind für unser Glück selbst verantwortlich. Ich kann nicht in ein Geschäft gehen und 1 Pfund Glück kaufen. Ich entscheide darüber, ob ich glücklich bin oder mich glücklich fühle. Ich kann auch keine andere Person für mein Glück oder Unglück verantwortlich machen. Es liegt in meiner Hand. Es liegt in deiner Hand. Der Schlüssel zum Glück liegt in uns. Wir dürfen uns auf den Weg machen, um ihn zu finden. Es ist völlig in Ordnung, sich glücklich zu fühlen, auch wenn um einen herum das Unglück wütet. Wenn der Partner, der Freund, die Partnerin, die Freundin oder auch das eigene Kind unglücklich ist, dann ist es seine oder ihre Angelegenheit und auch Entscheidung. Ich gebe mir selbst die Erlaubnis glücklich zu sein. Niemand kann mir diese Erlaubnis erteilen, auch wenn mir die Stimmen im Ohr etwas anderes zuflüstern. Es ist eine weit verbreitete Annahme zu glauben, dass man nur dann glücklich ist, wenn man schlank, reich, attraktiv, belesen, intelligent, etc. ist. In diesem Moment macht man das Außen für seinen Gemütszustand verantwortlich. Man hängt im wahrsten Sinne an materiellen Dingen oder fremden Bewertungsmaßstäben, doch niemals an sich selbst. Man definiert sich über den Schein und nicht über das eigentliche und wahrhaftige Sein. Merke es dir gut.

Es ist ebenfalls ein Trugschluss zu glauben, dass man ständig glücklich zu sein hat. Das kann gar nicht klappen. Um diesen Zustand heraufzubeschwören, bräuchte man entweder eine tägliche hohe Dosis psychedelischer Essenzen oder man müsste komplett erleuchtet sein. Es ist auch in Ordnung, wenn man sich mal nicht glücklich fühlt oder in einem riesigen dunklen Ozean aus Trauer, Schmerzen, Herzeleid oder Unglück vor sich hintreibt. Jedoch ist es wichtig, dich wieder daran zu erinnern, dass nur du dich selbst erretten kannst. Wie? Indem du deine Gedanken in den Griff bekommst und erkennst, dass diese Gedanken von einem Ort kommen, der mit dir nichts zu tun hat. Wenn du es schaffst, hinter die Kulissen deines menschlichen Seins zu blicken, dann wirst du verstehen, was ich damit meine. Doch für den Anfang möge diese Information ausreichend sein.

Ich wünsche dir, dass du in deinem Leben einiges zerdepperst. Manches wirst du unbedingt kleben wollen, anderes wirst du ziemlich schnell entsorgen. Einige Scherben werden dir tatsächlich Glück bringen und wiederum andere lassen sich mit anderen Scherben zu etwas zusammenfügen, dem ein kleiner Zauber inne wohnt. Einfach etwas magisches. Etwas, wodurch sich auf wundervolle Art und Weise eine Tür öffnet, von deren Existenz du bislang noch keine Ahnung hattest. Das Leben ist Veränderung. Etwas wird zu etwas anderem. Vergiss das niemals. Auch die düsteren Momente oder tiefen und dunklen Nächte deiner Seele können sich eines Tages überaus lichtvoll erweisen und dir im wahrsten Sinne des Wortes Glück bringen. Zu leben heißt, sich täglich auf das Leben mit all seinen Facetten, die es dir präsentiert, einzulassen. Präsent zu sein und den gegenwärtigen Moment als solchen anzunehmen und anzuerkennen. Inszeniere kein Drama.

Nimm die Scherben und entscheide, was du damit oder aus ihnen machst. Vielleicht lässt du sie auch einfach liegen und wartest ab?

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